top of page

Briefe eines Händlers


Meine Liebe,
es tut mir leid, dir mitteilen zu müssen, dass sich mein Aufenthalt Übersee auf unbestimmte Zeit verlängern wird. Es hat sich mir vor einigen Wochen die Möglichkeit geboten meine Waren in Venata, der Hauptstadt Sundaratas anzubieten, etwas, das ich mir unmöglich entgehen lassen kann. Kaum je werden Außenstehende hinter die hohen Schutzwälle dieser festungsähnlichen Stadt gelassen, geschweige denn ein Händler wie ich. Egal wie wohlhabend oder erfolgreich wir durch den Verkauf unserer Waren in anderen Ländern sind, in Venata einen Stand zu bekommen grenzt an ein Ding der Unmöglichkeit, schließlich scheint es nach außen immer als hätten die Bürger dort alles was das Herz begehrt.
Ich weiß jetzt, dass es in Wahrheit ganz anders aussieht. Vor sieben Tagen bin ich durch die Tore Venatas gekommen und in einer kleinen Herberge am Rande des großen Marktplatzes abgestiegen. Die Dinge, die ich vom Herbergsvater, von geschwätzigen Weibern auf dem Markt und von Betrunkenen in der örtlichen Spelunke inzwischen gehört habe – ich würde sie nicht glauben, hätte ich die Beweise nicht mit eigenen Augen gesehen. Dinge, die wir unseren Kindern abends beim Feuer als Fabeln erzählen würden, sind hier gewöhnlich.
Während meiner Reise bin ich durch einige der benachbarten Länder gekommen und habe erfahren, dass man schon lange munkelt, dass das Volk Sundaratas über etwas verfüge, was es von den anderen Völkern unterscheide. Nun habe ich erfahren, dass es sich bei diesen Gerüchten nicht nur um Hören-Sagen, sondern um die Wahrheit handelt.
Die Bevölkerung Venatas (ich nehme an, die des gesamten Reiches, habe dazu aber noch nicht genügend Nachforschungen angestellt) ist in drei Klassen unterteilt. Ich halte mich hauptsächlich im Bereich der Infausti auf, die Klasse, die als niederste angesehen wird. Hier in den Randgebieten Venatas finden die Märkte statt, auf denen die Infausti ihre angebauten Produkte verkaufen und um selbstgemachte Ware feilschen. Doch nicht nur das. Ich habe nun schon häufiger mitansehen müssen wie Infausti, vor allem Frauen, versucht haben, sich und ihren Körper an Angehörige der zweiten, in seltenen Fällen sogar direkt der ersten Klasse zu verkaufen.
Ich weiß, was du denkst, wenn ich vom Verkauf des Körpers rede, doch so ist es nun auch nicht. Es geht bei weitem nicht um ehebrecherische Akte, sondern vielmehr um den Verkauf der Schönheit. Das ist nämlich etwas, was all diese Infausti an sich haben – sie sind schön. Schöner, als es in ihrem Stand gebraucht wird, denn auf dem Feld oder in der Gerberei braucht man kein seidiges Haar oder schlanke Finger.
Was ich damit meine fragst du dich? Nun, dieses kleine Quäntchen, das die Sundaratianer so anders macht als uns, liegt in der zweiten Klasse der Stadt. Innerhalb dieser Klasse leben die Perfektos, hochgebildete Männer, die das Handwerk der sogenannten Perfektatio beherrschen. Bis vor wenigen Tagen hat sich diese Arbeit auf das perfektionieren von Gegenständen und vereinzelt Tieren beschränkt, doch nun gab es wohl einen großen Durchbruch in der Forschung der Perfektos, was die gesamte Bevölkerung in Aufruhr versetzt hat.
Um die Perfektatio durchführen zu können, benötigt man zwei Gegenstände, die sich von der äußeren Erscheinung her stark ähneln, nehmen wir als Beispiel zwei Stühle. Den einen möchtest du für unseren Esstisch, er ist dir aber nicht schön genug um ihn Gästen zu präsentieren. Der andere sieht fabelhaft aus, ist aber von schlechtem Holz. Du wendest dich also an einen Perfektos und beauftragst ihn, dem ersten Stuhl die perfekten Qualitäten des Zweiten zu verleihen.
In einer Art Prozedur, über die in der Öffentlichkeit allerdings Stillschweigen bewahrt wird und über die ich dir deshalb keine Auskunft geben kann, wird der Stuhl deiner Wahl perfektioniert. Er behält seine schon perfekten Eigenschaften, also beispielsweise das hochwertige Holz, und erhält dazu die Schönheit des zweiten Stuhls.
Diese Perfektatio hat allerdings auch ihre Schattenseiten. Die Schönheit wird nämlich nicht nur kopiert, sondern dem zweiten Stuhl vollständig entzogen, sodass er danach im Grunde zerstört und nur noch als Brennholz zu gebrauchen ist.
Vor drei Tagen ist nun bekannt geworden, dass der oberste Perfektos einen entscheidenden Durchbruch in seiner Forschung gemacht hat. Es soll ihm gelungen sein, die Perfektatio am Menschen durchzuführen. Man hat noch keine Ergebnisse gesehen und man weiß auch nicht, ob das alles nicht vielleicht mehre Theorie ist, das hindert die Infausti aber nicht daran sich und ihre Schönheit jetzt schon für solche Wandlungen anzubieten.
Von der humanen Perfektatio sollen nämlich nur die Bürger der obersten Klasse, die Consumater, profitieren. Sie gehören zum Adel der Stadt und sind deshalb sehr darauf erpicht ihr Äußeres immer weiter zu verbessern und in den Gunsten des hiesigen Königs, Janus, zu stehen.
Die Wandlung kann nur durchgeführt werden, wenn beide Teilnehmer ihr Einverständnis geben und miteinander kompatibel sind. Da derjenige, der sich von seiner Schönheit trennt, aber stark entlohnt werden soll, wird es – so denke ich – zumindest bei der Willigkeit nur wenig Einspruch geben.
Demzufolge, was ich gehört habe, ist der Empfänger der Perfektatio, nach der Prozedur von blendender Schönheit, während der andere schon fast Krüppel genannt werden muss, um sein Aussehen danach noch anständig beschreiben zu können.
Niemand weiß, ob und was es für Auswirkungen auf das Innere eines jeden Teilnehmers hat, die Perfektos, mit denen ich mich in den letzten Tagen unterhalten habe, scheinen aber positiv gestimmt.
Sollte ich neue Erkenntnisse gewinnen, werde ich dir postwendend schreiben.
Gehab dich Wohl, auf bald!

 

bottom of page